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Dr. Franz FISCHLER


Mitglied der Europäischen Kommission zuständig für

Landwirtschaft,ländliche Entwicklung und Fischerei


Gedenkveranstaltung im Konzentrationslager Mauthausen


Mauthausen, 7. Mai 2000


Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Die menschliche Sprache stößt an ihre Grenzen, wenn es darum geht, das Unsägliche zu sagen, das Unaussprechliche auszusprechen. Aber sind nicht ohnehin der Worte schon genug gewechselt, weiß nicht ohnedies jedes Kind, wie "schlimm" der Holocaust war und wie "böse" die Nazis? Können wir uns nicht endlich wichtigeren Problemen zuwenden, unsere Kinder in Internet bringen und Mauthausen und den Holocaust den Geschichtsbüchern überlassen?

Ich glaube, nein. Denn wenn wir das Spiel vom Fragen nicht mehr spielen, wenn wir uns einlullen lassen vom trügerischen Schlaf der Gleichgültigkeit, dann laufen wir Gefahr, das höchste Gut dieses dunkelsten Kapitels unserer Geschichte auf Spiel zu setzen: Aus unserer Geschichte zu lernen.

Schon allein deswegen muß die Vermittlung historischer Tatsachen über diese europäischen Katastrophe, mitsamt der Warnung vor brutaler Arroganz und zerstörerischer Blindheit eines rassistischen Regimes weiterhin einen zentralen Stellenwert in unserer Gesellschaft einnehmen. Besonders in Österreich, gerade in Österreich.

Das Konzentrationslager Mauthausen spiegelt die häßliche Fratze der Menschheit in seiner gesamten Bandbreite wider. Europa hat sich lange eitel im Hochmut der Zivilisation gesonnt, weil im 20. Jahrhundert in zivisilisierten Gesellschaften eine derart primitive Tötungsmaschinerie nie und nimmer funktionieren würde. Mit dem Holocaust war diese Arroganz zur lächerlichen Farce geraten.

Und Mauthausen als Schaubühne der menschlichen Bestialität, als Pandämonium der Unmenschlichkeit, gibt Zeugnis davon. Die Überlebenden haben einen Blick in die Hölle werfen müssen, und der Boden der Aschenhalde ist durchtränkt von den stummen Schreien der Toten.

Wenn Leon Zelman sagt, daß ein Teil Österreichs bis heute nicht begreifen will, daß es immer noch an seinem Umgang mit den Schattenseiten seiner Vergangenheit gemessen wird, so muß ich ihm recht geben. Wir können uns nicht durch den Hinterausgang der Geschichte aus unserer Verantwortung stehlen. Die Opferthese der Allierten hat die "Herr Karl-isierung" Österreichs befördert, und unsere Vergangenheitsbewältigung zur Verdrängungsübung im Rahmen des österreichischen Alltagspragmatismus gemacht.

Natürlich ist es schmerzhaft, immer wieder von Neuem mit dem Unsäglichen konfrontiert zu werden. Aber Österreich entkommt seiner Geschichte nicht, soll ihr nicht entkommen, darf ihr nicht entkommen.

In diesen Tagen bricht vieles wieder, was wir schon längst überwunden geglaubt haben. Mit Erstaunen und Empörung gleichermaßen wird die Besorgnis aus dem Ausland quittiert, die mit seismographischer Genaugigkeit jede auch noch so kleinen Ausbruch von Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz oder unsauberem Umgang mit der Vergangenheit registriert. Wir Österreicher werden mit anderem Maßstab gemessen. Und ich glaube wir sollten uns sehr bewußt sein, warum das so ist.

Die schwierige politische Situation in unserem Land ist aber auch eine Chance, einen neuen Anlauf zu unserer Vergangenheitsbewältigung zu machen. Es ist Zeit, dem Bekenntnis zur Mitverantwortung am Nationalsozialismus weitere Taten folgen zu lassen. Dazu gehört auch, alles zu tun, um das Unrecht an der jüdischen Gemeinde, so gut als irgendwie möglich wiedergutzumachen. Es ist Zeit, die Zwangsarbeiterfrage zu lösen, es ist Zeit, die Rückgabe von arisiertem Vermögen zu lösen. Und zwar endgültig.

Und wenn es auch gelingen würde, den "Herrn Karl" und das, was er verkörpert, aus den Köpfen der Österreicher zu verbannen und endgültig als Requisit der Nachkriegszeit ins Theater zu stellen, dann wäre für das moderne Österreich des 21. Jahrhunderts viel gewonnen.

Meine Damen und Herren,

Als die Insassen von Mauthausen vor 55 Jahren befreit wurden, lagen nicht nur viele Städte Europas in Trümmern, sondern auch der Glaube an das Gute im Menschen. Doch aus der Asche des zweiten Weltkrieges wuchs auch die Überzeugung, daß so etwas in Europa nie wieder passieren dürfe. Auf diesem Grundkonsens des "Nie wieder" basiert die Europäische Union, die mehr ist als eine Vertriebsgemeinschaft für Handelswaren. Denn die Grundwerte der EU wie Toleranz, Solidarität oder Antifaschismus sind direkte Konsequenz aus jener europäischen Blutrünstigkeit, derer wir heute gedenken.

Aus diesem Grund haben wir geradezu einen moralischen Auftrag, dieses friedlich geeinten Europa mit aufzubauen, es zu vertiefen und zu erweitern.

Die Generationen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geboren wurden, müssen die Anfänge der Todesspirale erkennen können, müssen lernen, daß ein gefährlicher Zusammenhang zwischen Fremdenfeindlichkeit und der Vernichtung des Fremden besteht. Eine Lehre aus der Geschichte ist, daß Gesellschaften leider über kein Immunsystem gegen solche Tendenzen verfügt. Umso wichtiger ist es deswegen, auch den Jungen die Lehren aus der Vergangenheit zu tradieren.

Die Hoffnung, die Beethovens Musik und Schillers Worte ausdrücken, haben auch an diesem Ort - im Angesicht der Todesstiege - ihre Berechtigung. Denn ein friedlich geeintes Europa wurzelt auch hier in Mauthausen, am Boden der menschenverachtenden Grausamkeit.

Vielen Dank



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