Autor/enOtto, Berthold/ (Hrsg.)
TitelDer Hauslehrer. Wochenschrift für den geistigen Verkehr mit Kindern. 9. Jahrgang, Nr. 1. (Inhalt: Berthold Otto: Neujahrsgruß an Eltern, Erzieher und Lehrer. S. 1. - Robert Theuermeister: Wie aus wilden Tieren Haustiere wurden. S. 4. - Robert Theuermeister: Vom Steinbeil und Urne. S. 6. - Franz Lichtenberger: Ein Schmetterlingsbuch. S. 7. - Mitteilungen und Anzeigen. S. 8. - Titel und Inhaltsverzeichnis des Jahrganges 1908. - Beilage: Geschichten in Altersmundart. - Max Päpke: Parzival. - Wilhelm Janecke: Soemus und Sarena. - Karl Weidinger: Ausflug auf die Bärenhütte. - Nikolas Schilling: Die Wasserprinzessin.)
OrtGroßlichterfelde
Datum1909.01.03
Anmerkungen"Im Grunde ist es nichts anderes als dieses, wenn ich die Selbstbeherrschung des Erziehers verlange. Man muß nur bedenken, daß das Kind für alles, was der Erzieher spricht oder auch nur durch Mienen kundgibt, ganz außerordentlich empfindlich ist. Jedes Kind, ohne Ausnahme, muß sich gegen diese Empfindlichkeit erst abstumpfen, ehe es das Bild des 'abgebrühten Bengels' darbietet, das uns unsere Gegner so oft höhnend entgegenhalten. Ein Kind empfindet es schon als eine Strafe, wenn wir eine Meinung, eine Hypothese, eine Phantasie des Kindes unserer Meinung nach ohne jedes Scheltwort, nur mit einer geringschätzigen Miene oder einem geringschätzigen Wort abtun." (S.2) ..................................................... [Brutalität] "Es ist wirklich so: der Verkehr mit Erwachsenen erfordert sehr viel mehr Geduld als der Verkehr mit Kindern. Und wenn es den meisten Menschen anders erscheint, so liegt das nur an der Gewohnheit, die sie angenommen haben, erwachsenen Menschen gegenüber die gesellschaftlichen Formen zu beobachten, während man sich ohne weiteres berechtigt glaubt, die Kinder zu brutalisieren, das heißt, ihnen ohne weiteres Befehle darüber zu geben, was sie denken dürfen und was nicht, was sie aussprechen dürfen und wie sie es denken und wie sie es aussprechen dürfen. Das heißt also, all das, was der Erwachsene, wenn es gegen ihn ausgeübt wird, als unerträglichen Geisteszwang, als nichtswürdige Tyrannei empfindet, alles das ist der Erwachsene gewohnt tagtäglich gegen die Kinder auszuüben. Und es ist wirklich, grade heraus gesagt, nur eine faule Ausrede, mit der man seine Brutalität vor sich selbst entschuldigt, wenn man sich einzureden sucht, daß ein solches brutales Verhalten den Kindern gegenüber aus Erziehungsgründen gerechtfertigt sei. Geisteszwang und Brutalisierung geistiger Äußerungen ist zunächst nirgends geboten oder auch nur gestattet." (S.3) ..................................................... [Brutalität] "Gewiß, es gibt auch brutale Kinder, das heißt solche, in denen die Brutalität ein vorwiegender Charakterzug ist. Und ich kann noch mehr zugestehen: es gibt wohl kein Kind, in dessen Charakter sich nicht auch ein Zug von Brutalität fände. Man kann das schon ganz gut im ersten Lebensjahr beobachten, wo die Gefühle noch ganz rein, noch ganz und gar nicht von irgend welcher Heuchelei entstellt zum Ausdruck kommen. Aber - es heißt das Wesen der Brutalität vollkommen verkennen, wenn man glaubt, daß sie sich ohne weiteres gegen den Stärkeren kehren würde, wenn der Stärkere eine Zeit lang seine Waffen ruhen läßt. Brutalität richtet sich fast immer nur gegen Schwächere." (S.3) ..................................................... "Vor einem ruhigen aber konsequenten Erwachsenen haben Kinder eigentlich immer Respekt." (S.3) ..................................................... "Man muß immer bedenken, daß es Kinder genau so wie Erwachsene unmittelbar als die schlimmste aller Ungerechtigkeiten empfinden, wenn sie in ihrer Geistesfreiheit gestört werden." (S.4) ..................................................... "In allen Dingen also, die mit der Religion nichts zu schaffen haben oder ich will lieber sagen, die mit religiösen Dogmen nichts zu schaffen haben, verlangen wir alle unbedingte Geistesfreiheit - nämlich für uns selber. Und wenn wir das tun, dann meine ich, ist es zunächst einmal Anstandspflicht gegen uns selbst, diese Geistesfreiheit auch anderen zu gewähren." (S.4) ..................................................... "Und noch wichtiger wird es beim Verhältnis des Erwachsenen zum Kinde. Da volle Geistesfreiheit wirklich zu gewähren, ist, ich gestehe es wiederholt und gerne zu, ganz gewiß nicht leicht. Es erfordert Übung in der Selbstbeherrschung und Übung in der Beobachtung des kindlichen Lebens und ein Eingehen auf die Gedankenwelt des Kindes." (S.4)
ArchivDIPF/II/B/H/I [11]
SignaturDIPF/II/B/H/I [11]
SchlagworteEltern
Freiheit
Geist
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