Autor/en | Otto, Berthold/ (Hrsg.) |
Titel | Der Hauslehrer. Wochenschrift für den geistigen Verkehr mit Kindern. 9. Jahrgang, Nr. 46. (Inhalt: Berthold Otto: Über staatsbürgerliche Erziehung. S. 501. - Georg Kerner: Zanzhausen. S. 505. - Julie Kruse: Julchens Ahornbaum. S. 507. - Beilage: Geschichten in Altersmundart. - Klara Sträter: Reinke de Voß. - Ernst Hering: Münchhausens Reisen und Abenteuer. - Kleine Geschichten) |
Ort | Großlichterfelde |
Datum | 1909.11.14 |
Anmerkungen | "Aber es kommt nicht nur auf die Erlebnisse an, sondern auf die Art und Weise, wie man sie erlebt. Un da weise ich hier im Hauslehrer immer wieder darauf hin, daß das eigentliche wirkliche Leben selbst, ganz abgesehen von der Schule, eine ungeheure Fülle von Erlebnissen bietet, die für Unterricht und Erziehung noch ein ganz Teil besser ausgebeutet werden können." (S.502/503) ..................................................... [Interesse] "Interesse steckt an, starkes Interesse sogar sehr stark, und so gibt es dann bei jedem politischen Sturm und Ungewitter nicht nur die gewaltige Welle auf der hohen See der großen Politik, sondern auch eine starke Dünung im Kindesleben. Die Kraft, die dabei entwickelt wird, muß ausgenützt werden, und wie das zu machen ist, das wird fast allwöchentlich im Hauslehrer gezeigt." (S.503) ..................................................... "Wer irgendwie unterrichten und erziehen will, muß vor allem Dinge lernen bei jeder Lebensäußerung des Schülers sich selbst zu fragen, inwiefern der Schüler recht hat; und dann muß er, wenn er selbst eine andere Meinung hat, nicht die des Schülers autoritativ zerschlagen wollen, ..." (S.503) ..................................................... [Objektivität; Pädagogische Freiheit] "Für die sachliche und ehrliche Betrachtung gibt es gar keine ganz schlechten Menschen! Weder Sozialdemokraten noch Kapitalisten, weder Junker noch Juden, weder Atheisten noch römisch-katholische Priester kann ich im Hauslehrer für schlechte Menschen erklären, so oft auch jedes Einzelne davon von mir verlangt wird. Die Kinder, die Schüler, mit denen ich spreche, nehmen selbstverständlich das Recht in Anspruch, über die eine oder die andere Kategorie anderer Meinung zu sein. Ich nehme ihnen das niemals übel, sondern verteidige nur in Ruhe meine eigene Überzeugung, natürlich immer genau so, wie es für den gerade vorliegenden Fall nötig ist." (S.503) ..................................................... "Unser ganzer Gesamtunterricht hat nur den Zweck, es den Schülern zu ermöglichen, ihre Erlebnisse außerhalb der Schule intensiver zu gestalten; und er hat auch unzweifelhaft den Erfolg; die Schüler verweilen mit Interesse bei Dingen, an denen sie früher mit gleichgültigem Blick vorbeigegangen waren." (S.505) ..................................................... "Aber die staatsbürgerliche Erziehung muß alle staatsbürgerlichen Erlebnisse der Kinder in ihren Bereich ziehen; und um darin ganz sicher zu gehen, muß sie das eigene Interesse der Schüler zur Richtschur nehmen." (S.505) ..................................................... "Wenn eine oder zwei Wochenstunden für Bürgerkunde übrig sind, dann muß dort nicht etwa schematisch die Zahl der Wahlkreise für den Reichstag, die Zahl der Stimmen im Bundesrat, das Maß der Wahlberechtigung in Reich und Einzelstaat und Kommune und dergleichen gepaukt werden, wie es die Paragraphen des Lehrbuches und die Systematik mit sich bringen, sondern die Stunden müssen Diskussionsstunden werden, in denen die Schüler mitteilen, was sie erlebt und gehört haben und nach dem fragen, was ihnen dabei aufklärungsbedürftig erscheint. Und der Lehrer muß nach besten Kräften Auskunft erteilen und zwar genau seiner Überzeugung gemäß. Man darf von einem liberalen Lehrer nicht verlangen, daß er eine konservative Auffassung übers preußische Wahlrecht den Schülern andemonstriert, sondern er hat zu sagen, wie er selber darüber denkt, allerdings auch mitzuteilen, daß andere Leute anders darüber denken und dann bei Fragen der Schüler so objektiv, wie es ihm möglich ist, zu antworten." (S.505) |
Archiv | DIPF/II/B/H/I [18] |
Signatur | DIPF/II/B/H/I [18] |
Schlagworte | Erziehung
Freiheit Gesamtunterricht Interesse Kind Kindheit Objektivität Politik Staatsbürger Toleranz |
Abteilungen | 2 |